von Angela Weber
Nach der Veröffentlichung von Turid Rugaas´ Buch „Die Beschwichtigungssignale der Hunde“, 2001 in Deutschland, drehte sich in der Hundewelt lange Zeit alles um dieses eine Thema. Der ein oder andere Hundehalter unterlag gar dem Irrglauben, bei den Beschwichtigungssignalen handele es sich um eine neuartige, revolutionäre Erziehungsmethode.
Tatsächlich stellen diese Signale nur eine kleine Anzahl von Elementen aus dem Bereich des hündischen Ausdrucksverhaltens dar. Genau genommen sind sie sogar ein „alter Hut".
Beschwichtigungssignale wurden bereits von zahlreichen Biologen und Verhaltensforschern (z.B. Konrad Lorenz, Erik Zimen, Klaus Immelmann) beobachtet und beschrieben und keineswegs von Turid Rugaas entdeckt.
Was sind Beschwichtigungssignale?
„Beschwichtigende Signale“ sind nach allgemeingültiger Definition solche, die das aggressive Verhalten des Gegenübers abzumildern oder zu verhindern versuchen.
Beschwichtigungssignale, die das friedliche Zusammenleben in einer Gruppe sichern, werden übrigens nicht nur von Caniden gezeigt. Auch andere Tierarten bedienen sich dieser „Aggressionshemmer“, um Konflikte zu vermeiden.
Hunde reden nicht? Falsch gedacht!
Die Kenntnisse um das Ausdrucksverhalten der Hunde sind für den Hundehalter von großem Vorteil. Wie viel einfacher gestaltet sich das Zusammenleben mit dem Hund, wenn wir in der Lage sind, dessen Sprache richtig zu verstehen und zu interpretieren.
Die Beschwichtigungssignale sind dabei nur ein Aspekt der vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten unserer vierbeinigen Hausgenossen, dem wir Beachtung schenken müssen.
Beschwichtigende Gesten, die ein Hund sendet, erinnern oft an demütiges oder welpenartiges Verhalten, wie z.B. das „Pföteln" oder der „Schnauzenstoß".
Kritik an der Theorie von Turid Rugaas
Turid Rugaas behauptet in ihrem Buch „Calming Signals", Hunde setzten beschwichtigende Signale auch bei Stress und Unruhe sowie bei Nervosität und lauten Geräuschen ein. Subsumiert unter der oben dargelegten Definition, ist diese These aber nicht haltbar.
Auch die Biologin Mira Meyer kommt in ihrer Diplomarbeit „Die Beschwichtigungssignale der Hunde – Untersuchung ausgewählter Signale in einer freilebenden Hundegruppe" zu dem Schluss, dass vielen, der von Turid Rugaas als Beschwichtigungssignale gedeuteten Verhaltensweisen, in Wirklichkeit kein beschwichtigender Charakter zukommt.
Wer zeigt Beschwichtigungssignale?
Beschwichtigende Signale zeigt ausschließlich der Rangniedrige dem Ranghohen.
Dabei versteckt dieser alle "offensiven Waffen", wie zum Beispiel seine Zähne und versucht unscheinbar zu wirken (Meyer 2006). Er signalisiert damit seine Ungefährlichkeit, und dass er keine, wie auch immer gearteten Ansprüche an sein Gegenüber stellt.
Gähnen - ein Beschwichtigungssignal?
Turid Rugaas versteht „Gähnen“ als solches und misst dem eine außerordentlich hohe Bedeutung bei.
Dem gegenüber konnte Mira Meyer bei ihren Untersuchungen keinen beschwichtigenden Charakter dieses Signals feststellen. Die von ihr beobachteten Hunde einer frei lebenden Gruppe zeigten „Gähnen“ ausschließlich in nicht konfliktträchtigen Situationen beziehungsweise meistens dann, wenn sie alleine waren.
Dies kann ich durch die tägliche Beobachtung zahlreicher unterschiedlicher Hundegruppen mit Dutzenden verschiedenen Hundecharakteren aus eigener Erfahrung bestätigen.
„Gähnen“ ist demnach entgegen der von Turid Rugaas vertretenen Meinung kein Beschwichtigungssignal.
Natürlich wird Gähnen nicht ausschließlich um seiner selbst willen, also etwa im Falle von Müdigkeit, gezeigt. Wir können häufig Hunde beobachten, die in Gegenwart anderer Hunde oder Menschen übertrieben geräuschvoll gähnen. Dabei handelt es sich oft um Situationen, in denen der gähnende Hund gestresst ist. Das Gähnen dient in diesem Fall dem Abbau der eigenen Anspannung.
Hundeverhalten zu interpretieren fällt ungeübten Hundefreunden oft schwer. Auf jeden Fall muss das Verhalten des Hundes immer ganzheitlich betrachtet werden. Das umfasst die Körpersprache und das Lautäußerungsverhalten ebenso wie die taktile Kommunikation, also dass Kommunizieren über Berührungen. Zumindest was unser Beobachtungsvermögen betrifft, können wir die olfaktorische (geruchliche) Kommunikation an dieser Stelle ausnahmsweise einmal außer Acht lassen. Der Vollständigkeit halber, möchte ich sie aber erwähnt wissen.
Hingegen darf hündisches Verhalten nicht allein auf Beschwichtigungsgesten reduziert werden. Diesen Gesten kommt nicht annähernd die besondere Bedeutung zu, die ihnen durch die neuere populäre Hundeliteratur beigemessen wird.
Für den Hundefreund ist es nicht nur sinnvoll, sondern im freundlichen, partnerschaftlichen Umgang mit seinem Tier unabdingbare Pflicht, sich einen Überblick über das gesamte Repertoire hündischen Ausdrucksverhaltens zu verschaffen, um damit seinem Hund die Möglichkeit zu geben, sich ihm gegenüber verständlich zu machen.
Mit dem Wissen allein um die Beschwichtigungssignale haben wir leider kein adäquates Werkzeug in der Hand, um unseren Hund in seiner Vielfältigkeit zu verstehen.
Betrachten wir zum Schluss das von Turid Rugaas als Beschwichtigungssignal beschriebene „Lächeln". Eine vermutlich im Zusammenleben mit dem Menschen erlernte Verhaltensweise.
Bei der Herausbildung einer solchen, wird ein zufällig gezeigtes Verhalten von uns bewusst oder unbewusst verstärkt und damit dessen Auftrittswahrscheinlichkeit erhöht.
Einer meiner eigenen Hunde, hat dadurch das „Lächeln" erlernt. Sein „Lächeln“ dient in keiner Weise der Abmilderung von Aggression ist also mitnichten ein Beschwichtigungssignal.
Sein „Lächeln" hat einen stark auffordernden Charakter, von dem ich mich, ich gebe es offen zu, sehr gerne anstecken lasse.
Durch Mira Meyer untersuchte Beschwichtigungssignale
Alle Signale sind im Kontext – also immer ganzheitlich zu betrachten
Über die Schnauze lecken oder auch Licking Intentions
Der Beschwichtigende leckt einem anderen Hund die Schnauze. Dieses Lecken kann auch ungerichtet auftreten, also ins Leere gehen bzw. die eigene Schnauze betreffen. Dieses Verhalten wird immer nur sehr kurz gezeigt.
Geduckte Haltung oder auch Sich klein machen
Oft zu beobachten bei Hundebegegnungen. Der Beschwichtigende duckt sich, macht sich klein, dabei kann er auch weiterhin auf den anderen Hund zugehen.
Viele Hundebesitzer interpretieren dieses Signal vollkommen falsch, indem sie annehmen, ihr Hund lauere dem anderen auf und/oder gehe gleich zum Angriff über.
Auf den Rücken legen
Auch Demutsgeste, aktive Unterwerfung, sie dient nach Zimen der freundlichen Integration ins Rudel. Dieses Verhalten kann auch bei Hundebegegnungen gezeigt werden, oft als Steigerung der geduckten Haltung.
Pföteln
Die rechte oder linke Vorderpfote wird im Handgelenk abgeknickt und in Richtung des Partners hochgehalten. Dieses Verhalten wird auch spielerisch dem Menschen gegenüber gezeigt und hat hier einen stark auffordernden, um soziale Integration „bettelnden" Charakter.
Schnauzenkontakt/Schnauzenstoß
Im Zusammenhang mit geduckter Körperhaltung. Es wird mit der Schnauze gegen den Mundwinkel des zu beschwichtigenden Partners gestupst, dabei kann der Mundwinkel auch geleckt (LickingIntentions) werden. Diese Geste wird eher unter Tieren gezeigt, die einander kennen.
Vermeidung von Blickkontakt
Unterlegenheitsgeste. Der beschwichtigende Hund wendet den Blick ab, vermeidet Augenkontakt.
Wegdrehen
Der beschwichtigende Hund dreht dem Gegenüber das Hinterteil zu, damit werden Signale für eventuelle aggressive Handlungen abgeblockt.
Quellen
• Abrantes, Roger: Hundeverhalten von A–Z, 2005
• Feddersen-Petersen, Dorit: Hundepsychologie, Sozialverhalten und Wesen, Emotionen und Individualität, 2004
• Hallgren, Anders: Lehrbuch der Hundesprache, 1986
• Meyer, Mira: Die Beschwichtigungssignale der Hunde, Untersuchung ausgewählter Signale in einer freilebenden Hundegruppe, 2006 (Diplomarbeit)
• Rugaas, Turid: Calming Signals, Die Beschwichtigungssignale der Hunde, 2001
• Zimen, Erik: Der Wolf, 1978
Zuerst erschienen im Hundemagazin Wuff, Ausgabe: 2007-02, überarbeitet im März 2012
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